Sichere Entscheidungen in unsicheren Zeiten

Lebendigkeit durch Sicherheit UND Unsicherheit

Mit Sicherheit wollen wir uns alle gerne sicher fühlen. Möglichst geschützt vor allen Gefahren, die einem begegnen könnten, und so gut es geht im Wissen, was auf einen zukommt. Oder lieber doch nicht? Wo liegt der Schatz darin sich unsicher zu fühlen? Im Nicht-Wissen zu sein, den Weg nicht zu kennen, sich verletzlich zu fühlen?

Viele von uns haben am allerersten Beginn unseres Lebens einen wahrhaft sicheren Raum erfahren. Verborgen geborgen im Mutterleib sind wir herangewachsen. Wir haben keinen Hunger oder Durst gespürt, wurden fortwährend vom Körper der Mutter genährt, gewärmt und gehalten.

Geburt

Und dann kam unweigerlich die Geburt und somit das Ende von all dem, was wir bis dahin erlebt hatten. Ein offener Raum voller Gefahren und Herausforderungen: Schwerkraft, Hunger und Durst, Kälte, Schmerz – all das hat neu auf uns gewirkt und uns unsere Verletzlichkeit und Abhängigkeit spüren lassen. Und zugleich war die Geburt der essentielle Schritt, um wirklich lebendig zu sein, um weiter wachsen und uns entwickeln zu können. Und jeder weitere Entwicklungsschritt war stark von Unsicherheit geprägt: die ersten Male unseren Kopf zu heben, uns zu drehen oder aufzurichten, das erste Mal frei stehen, unsere ersten Schritte.

Wachstum braucht Risiko

Wenn wir die lebendige Natur mit offenem Herzen beobachten, können wir auch ganz viel Risiko und Unsicherheit und zugleich ein fortwährendes Streben nach Lebendigkeit beobachten. Der Keim, der sich aus dem schätzenden Samen bohrt, unabhängig davon, ob ihn ein saftiger Waldboden oder ein karger Straßenrand erwartet. Die Kaulquappen, die quirlig durchs Wasser zappeln, in dem Libellenlarven und andere Fressfeinde auf sie warten. Ein ewiger Kreislauf von Geburt, von Streben nach Lebendigkeit und Entfaltung und von Sterben.

Und ja, natürlich ist es sowohl in der menschlichen Entwicklung als auch in der Natur essentiell gleichzeitig auch ganz viel Sicherheit zu erfahren, damit Wachstum überhaupt möglich ist.

Bedingungslose Liebe als Basis für Sicherheit

Kinder brauchen Menschen, die sie tragen, halten und versorgen. Die ihnen Berührung und Liebe schenken. Und je sicherer diese Bezugspersonen sich selbst fühlen und ihren Kindern möglichst bedingungslos diese Zuwendung schenken können, desto stärker entwickelt sich ein ganz basales Sicherheitsempfinden und eine körperliche, emotionale und mentale Stabilität.

Pflanzen brauchen einen Boden, der sie trägt und nährt. Eine Raupe braucht den schützenden Kokon, um sich zu einem Schmetterling entwickeln zu können. Vogeleltern suchen nach einem sicheren Platz, wenn sie das Nest für ihren Nachwuchs bauen. Und je idealer die Bedingungen den Bedürfnissen entsprechen und je effektiver eine Tarnung oder ein gewählter Platz für Geburts- und Transformationsprozesse ist, desto besser können sich die Lebewesen entfalten und desto eher ist ihr Fortbestand gesichert.

Warum Unsicherheit wesentlich ist

Es zeigt sich für mich ganz klar, dass wir beides für ein gutes Leben und unsere Entfaltung brauchen: Sicherheit UND Unsicherheit. Auch wenn es unangenehm und schmerzlich sein kann, Unsicherheit und Angst zu spüren, so ist es doch so wesentlich für unsere Weiterentwicklung sich immer wieder darauf einzulassen.

Wenn ich in ein übermäßiges Sicherheitsbedürfnis und Angst vor der Angst gerate, erstarre ich, werde unbeweglich und bleibe praktisch stehen. Ich spüre möglicherweise Enge und Bedrohung, bin hilflos und ausgeliefert. Oft werden auch Regeln und Gesetze herangezogen mit dem Ziel Sicherheit zu erhöhen. In einem gewissen Rahmen kann dies natürlich unterstützend sein, aber wenn die Grenzen zu eng gesetzt werden und jede Flexibilität und Lebendigkeit verloren gehen, erhöht sich das Risiko oft sogar. Als Beispiel möchte ich wieder Bezug auf das Geburtsthema nehmen. Wird bei einer Geburt der natürliche Verlauf respektiert und kann dieser möglichst ungestört – mit all ihrer Unsicherheit und Unberechenbarkeit – fließen, so ist die Wahrscheinlichkeit einer sicheren und natürlichen Geburt viel höher als in einem Krankenhaus mit all den starren Formalismen und Prozessen und einer meist sehr hohen Kaiserschnittrate.

Ich selbst habe in den letzten Jahren mehr und mehr das Potenzial von Unsicherheit erfahren und schätzen gelernt. Je mehr ich mich immer wieder auf sie und auf ein Nicht-Wissen einlassen kann, mich ihr hingebe bzw. mich auch in den Raum zwischen dem „nicht mehr“ und einem „noch nicht“ begebe, desto mehr überraschende Möglichkeiten und Geschenke eröffnen sich mir. Es unterstützt mich wahrhaftig lebendig zu sein.

Sichere Entscheidungen durch Verbundenheit

Besonders herausfordernd sind im diesen Zusammenhang für mich immer noch Entscheidungen etwas abzuschneiden, loszulassen, zu verabschieden. So oft hege ich den Wunsch mir möglichst viele Optionen offen halten zu wollen, mich nicht für etwas und somit auch gegen etwas entscheiden zu müssen. Ich spüre Angst davor mich vielleicht falsch zu entscheiden, etwas zu verpassen oder zu verlieren. Ich betrauere, was nicht mehr ist und nicht mehr zurückgeholt werden kann. Und zugleich merke ich mich, wie ich mich selbst dadurch blockiere und auch überfordere.

Auch hier hilft und unterstützt mich der Blick auf den Jahreszyklus der Natur. In die Zeitqualität des Ernteschnittes (1./2. August bis 20./23. September) einzutauchen und mich zu fragen: „was ist gerade dran abgeschlossen zu werden? Was in meinem Leben braucht einen klaren Schnitt oder Übergang?“ Leben und Arbeiten können nur wahrhaftig erfolgreich sein, wenn auch die Früchte bewusst geerntet, Entscheidungen getroffen und Abschlüsse gesetzt werden.

Und mich unterstützt auf diesem Weg und in dieser Welt, die immer mehr von Unsicherheit und Komplexität geprägt ist, eine Sicherheit in mir selbst und in der Gemeinschaft zu finden. Mir zu vertrauen und mich in all meinem Sein anzunehmen. Und mich mit Menschen zu vernetzen, denen ich vertraue. Mit denen ich mich in tiefere Schichten des Gegenseitig-Einlassens und Einander-Kennenlernens begeben und dadurch in eine wahre Verbundenheit kommen kann.

Wenn dies gelingt, fühle ich Sicherheit in der Unsicherheit, große Freude und pure Lebendigkeit.

Dieser Artikel ist von Marielies Klebel.

Quellen und Inspirationen bzw. weiterführende Links:
– Veronika Victoria Lamprecht: Buch „Natürlich erfolgreich – Leben und wirtschaften nach dem Gaia-Prinzip“

– aktuelles TAU Magazin „un sicher“  www.tau-magazin.net

– Ausschnitt einem Interview aus dem Pioneers of Change Online Summit 2018 von Martin Kirchner mit Alfred Strigl – Ambiguität – freier Fall zwischen dem „nicht mehr“ und dem „noch nicht“: youtube.com/watch?v=ZaCkB_W96kA

– Heike Pourian – www.beruehrbarewelt.de – u.a. im Zusammenhang mit der menschlichen Entwicklung und Sicherheit durch Berührung.

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